Vereinbarung zwischen NRW und RWE: Lützerath soll verteidigt werden
Ein Kompromiss zwischen den grün-geführten Landes- und Bundeswirtschaftsministerien und dem Energiekonzern RWE hat am Dienstag, 4. Oktober, für einen Paukenschlag gesorgt: RWE will acht Jahre früher als ursprünglich ausgehandelt – also bereits 2030 – aus der Kohleverstromung aussteigen.
Im Gegenzug sollen zwei Kraftwerke in Neurath 15 Monate länger – bis 31. März 2024 – im Betrieb bleiben, um die Energieversorgung zu sichern.
Und: Das Dorf Lützerath soll weiterhin abgebaggert werden, weil dort unter der Erde noch Kohle schlummert, die RWE nach eigenen Angaben noch benötigt – ebenfalls zur Stromversorgung.
Kohle soll also bereits am Ende dieses Jahrzehnts nicht mehr gefördert und verfeuert werden. Ein gewaltiger Schritt in Richtung Energiewende? Haben die Klimaaktivisten damit ihr Ziel erreicht?
Nicht wirklich, denn die Umweltverbände bleiben skeptisch und zerpflücken geradezu die Vereinbarung. Ihrer Meinung nach ist auch 2030 als Ausstiegsdatum viel zu spät.
Initiative „Lützerath bleibt“ fordert: „Kapitalistische Klimazerstörung beenden“
Beispielweise erklärt Antje von Broock, Geschäftsführerin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Wir begrüßen, dass es endlich einen konkreteren Plan gibt, wie der Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleenergie vorgezogen werden kann. Denn solange wir Kohle verbrennen, können wir unsere Klimaziele nicht einhalten. Deswegen braucht es eine gesetzliche Absicherung, dass der Klimakiller Kohle auch wirklich in der Erde bleibt und wir die Pariser Klimaziele einhalten, beispielsweise über eine Absicherung des CO2-Preises oder die Deckelung des CO2-Restbudgets für die Braunkohle.
Dass es aber nicht gelingen soll, alle vom Kohleabbau bedrohten Siedlungen zu retten, ist eine Katastrophe.“
Die Initiative „Lützerath Lebt“ (Titelfoto Copyright: Lützi lebt/Moritz Heck) will weiterhin für den Erhalt des Ortes kämpfen – auch wenn dort außer den Aktivisten kaum noch jemand lebt.
Die Kohlegegner kündigen weiteren Widerstand gegen die Räumung und den Abriss der verbliebenen Häuser an. Sie wollen sich „der Zerstörung in den Weg stellen“, sagt Pressesprecherin Julia Riedel: „[Bundeswirtschaftsminister] Habeck behauptet, es brauche die Kohle unter Lützerath für Versorgungssicherheit. Was damit eigentlich gemeint ist: RWEs Sicherheit weiter Profit zu machen. Denn während RWE Rekordumsätze mache, können viele Haushalte ihre Stromrechnungen nicht bezahlen. Um die soziale und die ökologische Krise zu lösen, brauchen wir eine Ökonomie der Bedürfnisse, nicht der Profite. Unter dem Schlagwort ‚People Not Profit‘ werden wir Lützerath verteidigen – und dabei auch für alle Menschen in Existenznot mit einstehen.“
„Wir sind wütend“
Aktivistin Jule Flinn aus Lützerath ergänzt: „Wir sind wütend. Weiterhin müssen Menschen in Pakistan, Somalia und allen anderen stark betroffenen Orten der Klimakatastrophe wegen des verantwortungslosen Handelns von RWE und Politik ums Überleben kämpfen. Es ist unser aller Aufgabe, diese kapitalistische Klimazerstörung jetzt zu beenden und dafür Lützerath zu schützen!“
Dina Hamid, ebenfalls von „Lützerath Lebt“, erklärt: „Die Landesregierung und RWE wollen die Unsicherheit der Leute nutzen, um Lützerath abzubaggern. Damit widerspricht sie dem Stand der Wissenschaft: Eine Studie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat gezeigt, dass die Menge Kohle, die jetzt schon im Tagebau Garzweiler II abgebaut werden kann, ausreicht, um uns zu versorgen. Lützerath kann bleiben.“
In der Tat schreibt das DIW dazu: „Die Abbaggerung weiterer Dörfer wegen darunterliegender Braunkohlevorräte ist für den Braunkohlestrombedarf jedoch nicht notwendig. Dies gilt auch für die Orte Lützerath im Rheinland und Mühlrose in der Lausitz.“
Allerdings steht dort auch: „Durch eine Ausweitung der jährlichen Laufzeiten sowie den möglichen Einsatz der Kapazitäten aus der Sicherheitsbereitschaft und Netzreserve können Kohlekraftwerke kurzfristig zum Ersatz von russischem Erdgas im Stromsektor beitragen.“ Das angestrebte Ziel für den Kohleausstieg im Jahr 2030 sei aber „erreichbar“. Heißt aber wohl auch: Bis dahin brauchen wir, nach Einschätzung des DIW, weiterhin Kohleverstromung; aber eben nicht mit Kohle aus Lützerath.
Und Sumejja Dizdarević von Fridays for Future NRW, schreibt: „Schluss mit lustig: Grüne Parteibüros in NRW wurden erst kürzlich von Menschen, die sich für Lützerath einsetzen, besetzt. (…) Wir haben jahrelang gekämpft, mobilisiert und demonstriert. Wir scheuen uns nicht, Lützerath auch mit unseren Körpern zu verteidigen. Klimapolitisch und sozialpolitisch muss Lützerath bleiben.”
Die Grüne Jugend kritisiert, die Entscheidung über Lützerath „zerstöre den sozialen Frieden in der Region und sei klimapolitisch fatal„. Daher wollen sich die jungen Aktivisten den Protesten anschließen: „Dass die Landesregierung hier den kurzfristigen Profitinteressen von RWE folgt, ist für uns unverständlich.“
Bericht: Achim Kaemmerer
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